Aufbau und Struktur der Heldenreise verstehen

Die Heldenreise verstehen

Es war einmal...

Jede gute Geschichte beginnt mit einer heilen Welt – und einem plötzlich eintretenden Ereignis, das alles ins Wanken bringt. Eine Person ist gefordert, in die Fremde zu ziehen. Sie macht dort eine Erfahrung und bringt diese mit zurück nach Hause und stellt dadurch eine neue Ausgewogenheit her.

Das ist die grobe Struktur guter Geschichten, die sich Menschen seit Alters her erzählt haben, um Krisen zu bewältigen und die Welt (neu) zu deuten. Joseph Campbell hat nach der Lektüre unzähliger Sagen, Mythen und Märchen diese weltweit zu findende Erzähl-Struktur in 17 Phasen unterteilt und in seinem Werk „Der Heros in 1000 Gestalten“ veröffentlicht.

Der Ruf ins Abenteuer der Heldenreise nach Campbell

Mehr als eine billige Schablone

Nicht nur die Filmindustrie hat das Potential der sogenannten „Heldenreise“ erkannt und als Grundmuster für eine dramatische Erzählweise für sich entdeckt. Campbells Raster wird mittlerweile für alle erdenklichen Branchen adaptiert – ja beinahe schon instrumentalisiert. Wie schreiben die zwei Brüder Andri und Gieri Hinnen so schön: „Auch umtriebige Werberinnen, Kommunikationsexpertinnen und Change-Gurus predigen den Heldinnenmythos längst als Hausmittel für alles. Das Team tut sich schwer mit dem Projekt? Framen wir es als Heldinnenreise!“ (Hinnen & Hinnen, Change It!, 25).

Man sollte Campbells Modell nicht als billige Schablone missbrauchen. Ähnlich wie sich die Heldin ins Unbekannte und Fremde wagt und ihre bahnbrechende Erkenntnis nicht vorschnell im Einfachen und Altbewährten findet, lohnt es sich, die Tiefe und Dichte von Campbells Modell zu bereisen.

Wäre es nicht ein wesentlicher Widerspruch zur Erzählstruktur der Held*innenreise, sie als touristischen Spaziergang zu nutzen oder als effektvolles Optimierungstool zu verwenden? Das ist sicherlich die Sehnsucht der Heldin von Beginn an: Eine schnelle Lösung zu finden, bei der sie sich nicht dreckig macht. Wie hoffen auf Abkürzungen, aber die bahnbrechende Erkenntnis findet sich anscheinend fast immer nur auf dem Umweg – weil er uns selber zum Umdenken bringt und das Eigeständnis abverlangt, dass unsere bisherigen Konstruktionen von Wirklichkeit eben immer nur Konstruktionen waren (und die Reise zu einem nie endenden Zyklus machen). 

Der Mensch, die unabgeschlossene Frage nach sich selbst

Die Held*innenreise ist wie Kreislauf zwischen Gewohntem/Bekanntem und Neuem/Fremden. Sie ist ein immer wiederkehrender Rhythmus von Aufbruch, Suche, Erkenntnis, Veränderung und Rückkehr wie wir ihn aus der Natur, den Jahreszeiten und dem Wechsel von Leben und Sterben schlechthin kennen. Die Held*innenreise illustriert, dass Veränderungen nicht geradlinig entstehen, sondern sich unerwartet über den Umweg ins Unbekannte entwickeln.

Philosophisch-anthropologisch gesprochen ergibt sich dieser nie endende Kreislauf aus der Erfahrung, dass der Mensch zwar die Fähigkeit hat, die Frage nach sich selbst zu stellen, jedoch diese Frage nie abschließend beantworten kann. Eine Dysbalance, die den Menschen zur stetigen Weiterentwicklung „verdammt“: Eine Geschichte ständiger Suche, Veränderung und Rückkehr, die tief in unserer kollektiven Psyche verankert zu sein scheint.

Die Held*innenreise als Kreislauf verstehen

Der sog. „Erzählkreis“ oder auch „The Embryo“ des gefeierten Serien-Drehbuchautors Dan Harmon ist ein hilfreicher Zugang, um diesen Grundgedanken und damit auch die Struktur der Held*innenreise besser zu verstehen. Statt der 17 Phasen, die Campbell in seiner Untersuchung vorschlägt, führt Harmon lediglich acht Etappen an, die zyklisch verlaufen. 

Dan Harmon Erzählkreis

Wie kommt Dan Harmon auf diese acht Phasen?

Zunächst nimmt er einen Kreis und teilt ihn horizontal in zwei Hälften: Die obere markiert das Gewohnte, die untere Hälfte das Fremde. Normalerweise halten wir uns in der oberen Hälfte auf. Sie steht für Sicherheit, Alltag und Routine – kurz die oft zitierte „Komfortzone“. In die untere Hälfte wagen wir uns höchst selten freiwillig, denn solange alles einigermaßen „gut läuft“ besteht kein Grund dafür, das Gewohnte zu verlassen.

Story Cycle by dan Harmon

Nun teilt Harmon den Kreis noch einmal vertikal durch eine Linie, so dass vier Viertel entstehen. In der Vertikalen ist alles „im Lot“, das 1. Viertel markiert den Aufbruch: Etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten und die Protagonisten verlässt das gewohnte Zuhause. Das zweite Viertel konfrontiert die Heldin mit einem oder mehreren Problemen, die sie im dritten Viertel zu lösen vermag. Mit der neuen Erkenntnis kehrt sie über das letzte Viertel wieder nach Hause zurück.

Anschließend halbiert Harmon auch diese Viertel und kommt zu den acht Phasen seines Erzählkreises:

1. Zuhause:

Hier wird ein idyllischer oder zumindest komfortabler oder akzeptierter Ausgangszustand beschrieben, ganz nach dem Motto „Es war einmal. Jeden Tag…“.

2. Ruf:

Nun plötzlich tritt ein Ereignis ein, das die Ausgewogenheit ins Wanken bringt: Das Fremde bricht unverhofft in den Alltag ein. In Märchen beginnt diese Phase häufig mit den einleitenden Worten: „eines Tages jedoch“. Dieses Ereignis kann auch ein innerer Reifungsprozess sein, eine innere Stimme oder Sehnsucht, die aus der Alltagsroutine heraus ruft. Oft hadert die Heldin anfangs mit dieser noch fremden Stimme und versucht, zurück ins Vertraute zu fliehen (oder eben die vermeintlich schnelle und billige Lösung zu finden).

3. Aufbruch

Oft bedarf es eines ermutigenden Wortes einer anderen Person (Mentorin), dass die Heldin sich doch noch ins Unbekannte wagt. Ist die Schwelle in das Fremde einmal übertreten, gibt es kein Zurück mehr. Dieser Schritt ist alles andere als einfach und die Protagonistin hat hier bereits irgendetwas anders gemacht als gewohnt.

4. Suche

Nun tritt sie ein in eine ganz andere Welt – wie Alice im Wunderland – und kommt nur stolpernd und tastend voran. Kleinste Dinge werden zu Bewährungsproben, weil hier die alten Schemata nicht greifen. So lernt sie ganz neue Fertigkeiten – und darin sich selbst noch einmal ganz anders kennen.

5. Entdeckung

Jetzt ist die Heldin am weit gelegensten und vielleicht auch dunkelsten Punkt angekommen. Dieser Ort wird ihr zur Offenbarung. Sie macht eine grundlegende Erkenntnis. 

6. Verlust & Verwandlung

Die erlangte Entdeckung verlangt von der Heldin jedoch ein fundamentales Umdenken und harte Konsequenzen: Sie muss das Alte und Vertraute aufgeben, loslassen – ja sogar sterben lassen. Der hohe Preis, der hier gezahlt werden muss, ist allerdings auch der Wendepunkt. Er wird zu einem „hohen Preis“, den die Heldin nun in den Händen hält.

7. Rückkehr

Die Protagonistin will mit ihrer neuen Erkenntnis, dem gewonnenen Schatz nun möglichst schnell in die alte Welt zurück und übertritt erneut die Schwelle.

8. Veränderung

Zu Hause angekommen geht es der Heldin wie uns selbst, wenn wir – zum Beispiel nach einer inspirierenden Fortbildung – etwas Neues im Alten einführen möchten und dabei eher auf Unverständnis stoßen. Sie ist „Bewohnerin zweier Welten“: Das ehemals Vertraute ist ihr fremd geworden und es bedarf einer enormen Anstrengung, nicht wieder in die alten Muster zu verfallen. Doch dafür hat die Heldin viel zu viel durchgemacht, als dass sie vorschnell ihre neuen Erkenntnisse preisgeben würde!

Die persönliche Geschichte neu erzählen

Die Struktur des Erzählkreises nach Dan Harmon hilft, das zugrunde liegende Muster der Held*innenreise nach Campbell besser zu verstehen. Die Phasen laden dazu ein, selbst ins Unbekannte aufzubrechen und die eigene Geschichte neu weiterzuerzählen. Sie ermutigen, dass Krisen keine Endpunkte markieren, sondern Knospen neuer und vor allem tieferer Erkenntnisse sein können.

Meine Visualisierung der Held*innenreise kannst Du als Datei downloaden oder auf Karton bzw. Stoff gedruckt bestellen:

Phasen der Heldenreise nach Cambell

 

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